Dr. Sibylle Plogstedt (*1945) war schon als Jugendliche ein politischer Mensch, eine Kämpferin, die sich für demokratische Werte und Frauenrechte stark machte. Das brachte sie später in ein tschechisches Gefängnis, da sie nach dem Prager Frühling (1968) die Opposition vor Ort unterstützte. Nach ihrer Freilassung war sie auch dem demokratischen Westen suspekt: Der „Radikalenerlass“ verhinderte ihre Anstellung als Wissenschaftlerin am Osteuropainstitut (FU Berlin). Sie gründete zusammen mit anderen Frauen die feministische Frauenzeitung „Courage“, war später Redakteurin beim Vorwärts und drehte u.a. Dokumentarfilme für die ARD. Sie forschte über politische Gefangene in der DDR und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. In dem Podcast erzählt Sibylle über ihren Lebensweg, die schwierige Suche nach ihrem biologischen Vater und das beharrliche Schweigen ihrer Mutter, das Trauma der Gefangenschaft und wie beglückend es heute für sie ist, in einem Dorf im niedersächsischen Wendland zu leben und dort das kulturelle Leben mitzuprägen. Und sie gründet weiter – diesmal ein „Archiv der unveröffentlichten Texte“.
Das Gespräch habe ich im Dezember 2022 aufgezeichnet.
Plogstedt,S: Im Netz der Geschichte- Gefangen in Prag nach 1968 (Helmer Verlag)
„Courage“ , also Mut, brauchten die Sozialwissenschaftlerin Sibylle Plogstedt und die Journalistin Sabine Zurmühl, als sie 1976 die erste überregionale Frauenzeitung „Courage“ gemeinsam mit anderen Frauen gründeten. „Mit Leidenschaft, aber Nullkapital“ machten sie monatlich eine Zeitung, die den Nerv der sich gerade entwickelten Frauenbewegung traf. Zeitweise erreichte sie eine Auflage von 70.000. Die „Courage“ war identitätsstiftend. Sie griff Themen auf, die sonst in den Medien nicht zu lesen waren, schrieb über Gewalt gegen Frauen, den § 218, sexistische Werbung oder lesbische Liebe. Und die Autorinnen sahen mit einem weiblichen Blick auf Stadtplanung, Theaterinszenierungen, Umweltzerstörung oder internationale Politik. Alice Schwarzer’s „Emma“ kam erst ein halbes Jahr später raus. „Sie war nie wirklich eine Konkurrenz“, sagen Sabine Zurmühl und Sibylle Plogstedt in dem Podcast. Sie erzählen von Aufbruchstimmung, den Diskussionen in der täglichen Redaktionskonferenz und mit wieviel Freude, aber auch Stress, das Frauenkollektiv jeden Monat eine neue Zeitung stemmte. Acht Jahre lang. 1984 stellten sie die Courage ein. Inzwischen waren ihre Themen auch in anderen Medien angekommen.
Prof. Dr. Ute Gerhard (* 1939) hat die Autonome Frauenbewegung und später die Frauenforschung in Deutschland wesentlich mitgeprägt. Sie studierte Jura, Soziologie und Geschichte und bekam 1987 den ersten Lehrstuhl für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Frankfurt. Bis dahin kamen Frauen in der Wissenschaft kaum vor – weder als „Gegenstand“ in der Forschung noch als Lehrende.
Als junge Frau mit 3 kleinen Kindern erlebte Gerhard Anfang der 1970 er Jahre, wie Mütter abgeschoben und gesellschaftlich isoliert waren. Die im Grundgesetz festgeschriebene Gleichberechtigung galt nicht in der Familie. Dabei war die bürgerliche Familie eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Aber für die bundesrepublikanische Politik war sie die „Heilige Kuh“ auch in Abgrenzung zur angeblich „staatlichen Aufbewahrung der Kinder“ in der damaligen DDR.
Ute Gerhard erzählt von ihrem Leben als Flüchtlingskind in einem niedersächsischen Dorf, der Arroganz der männlichen Kommilitonen an der Universität und ihrer frühen Sehnsucht nach Freiheit und Gerechtigkeit. Gemeinsam mit anderen Frauen thematisierte sie die ökonomische Abhängigkeit und häusliche Gewalt und musste sich dafür als Feministin beschimpfen lassen. In unserem Gespräch zeichnet sie die Debatten in der Frauenbewegung bis zur heutigen Genderdiskussion nach. Sie fordert die Sorgearbeit, die unter dem Begriff „Care“ zusammengefasst wird, anders zu bewerten und fürchtet, dass die Rechte, die sich Frauen erkämpft haben, auch wieder verloren gehen könnten.
Das Gespräch habe ich im Juli 2023 geführt.
Buchtitel:
Ute Gerhard – Für eine andere Gerechtigkeit – Dimensionen feministischer Rechtskritik: Campus 2018
Frauenbewegung und Feminismus – Eine Geschichte seit 1789: C.H.Beck 4. Aufl. 2020
https://ute-gerhard.de/
Es hat Spaß gemacht, Dr. Hanna Gagel (*1935) in den Schweizer Bergen zu besuchen. Auf 1600 m Höhe verbringt sie dort gerne ihre Sommer. Die Kunsthistorikerin Gagel hat sich vor allem mit der Kunst von Frauen und deren Alterswerk beschäftigt. In unserem Gespräch erzählt sie von weiblicher Schaffenskraft und der Chance in reiferem Alter zu vertiefter Kreativität und Ausdrucksstärke zu finden. Gagel nimmt uns mit in ihre Kindheit bei Bremen, ihrem Studium der Kunstgeschichte, in dem weibliche Künstler kaum vorkamen, ihrem politischen Aufbruch in Berlin und dem Berufsverbot in den 1970ern, das es ihr unmöglich machte, an einer deutschen Universität zu lehren. So kam sie nach Zürich und forschte über die Rolle der Künstlerinnen in der Kunstgeschichte und ihrem anderen Blick auf die Welt. Das Gespräch habe ich im Sommer 2022 aufgezeichnet.
2005 veröffentlichte Hanna Gagel ihr Buch „So viel Energie – Künstlerinnen in der dritten Lebensphase“ (Aviva Verlag), das inzwischen in der 6. aktualisierten Auflage vorliegt.